Vernichten und Erinnern Spuren nationalistischer Gedächnispolitik
In kulturwissenschaftlichen Debatten läßt sich immer wieder die Vermutung finden, die Nationalsozialisten hätten nicht nur die totale physische Vernichtung der europäischen Juden, sondern auch die Löschung ihrer Opfer aus Geschichte und Gedächtnis geplant. Nur unzureichend und vereinzelt sind aber bislang Projekte und Phänomene beachtet worden, die dem Versuch eines totalen Vergessenmachens ganz offensichtlich entgegenstehen und eher für den Versuch einer weitergehenden, noch über die Vernichtung hinausreichenden Funktionalisierung sprechen. Die fortgesetzte Ausstellung von Judaica während des Dritten Reichs und die Einrichtung eines Jüdischen Zentralmuseums unter der Aufsicht des SD in Prag weisen in die gleiche Richtung wie das Bemühen der Nationalsozialisten auf dem Gebiet der Judenforschung und eine Vielzahl von fotografischen und filmischen Dokumentationen der Opfer und der an ihnen verübten Verbrechen. Statt einer Endlösung der Erinnerung ist von den Tätern vielmehr eine Arisierung des Gedächtnisses geplant worden. Die Musealisierung diente zur Perpetuierung des notwendigen Feindbildes für die nationalsozialistische Ideologie. Nationalsozialismus und Holocaust werden damit nicht mehr nur als Ausgangspunkt für die Gedächtnisdiskurse der Nachkriegszeit betrachtet, sondern die Funktion von Gedächtnis und Erinnerung wird im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beraubungs- und Vernichtungspolitik untersucht.