Elinor Cleghorn

Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen

Die kranke Frau

Celine

Nach Beendigung der OP sagten die Chirurgen: »Keine Sorge, wir haben Sie schön eng zugenäht.« Da war er wieder, jener Extrastich, in den 1950ern mythologisiert durch verstohlenes Händeschütteln zwischen Ehemann und Gynäkologe im Wartezimmer. Der »Husband Stitch«, in mich hineingenäht.

Langsam begann die Medizin in Betracht zu ziehen, dass Frauen ein aktiveres Immunsystem und stärkere Antikörperreaktionen aufweisen, was die weibliche Biologie eine Autoimmunität anfälliger macht.  

Der Professor für Gynäkologie und Geburtskunde Hugh Davis sagte vor dem Ausschuss: »Noch nie in der Geschichte haben so viele Menschen so starke Medikamente bei so geringer Information über die akuten und potenziellen Risiken belkommen [...] tatsächlich führen wir da ein enormes endokrinologisches Experiment mit Millionen gesunder Frauen durch.«

Nancy Langston, „The retreat from precaution: Regulating Diethylstilbestrol (DES), endocrine disruptors, and environmental health“, in: Environmental History 13, Nr. 1 (Januar 2008), S.50

Jede physische, emotionale, sexuelle oder soziale Krankheit, an der eine Frau leiden konnte, so Wilson, sei durch ihre abnehmende oder gestörte Weiblichkeit verursacht. 

»Psychosomatik«, abgeleitet von den altgriechischen Termini für »Seele« und »Körper«, beschrieb jede Krankheit, die sich in Körpersymptomen mit vermutlich psychischen Ursachen ausdrückte.

P für eine Untertreibung. Doch obwohl der LE-Test die Krankheit nachweisen konnte, mussten sich Frauen mit den ärztlichen Beurteilungen ihrer »bizarren«, »rätselhaften« Symptome herumschlagen, bevor die Möglichkeit eines Lupus überhaupt in Erwägung gezogen wurde. Wie viel einfacher war es doch, den namenlosen Schmerz einer Frau einer»Verhaltensstörung«, »emotionalen Instabilität«, »Psychose« oder »Hypochondrie« zuzuschreiben, als die eigene Ratlosigkeit zuzugeben.

Ferebee, planned parenthood as a public’s health measure for the negro race

Helene Deutsch, Kollegin Freuds und eine der ersten Psychoanalytikern, die sich auf Frauengesundheit spezialisierte, wies auf den symbolischen Verlust einer Schwangerschaft und die Nichterfüllung der weiblichen Pflicht hin: »Psychologisch bedeutet die Menstruation somit für das (Unterbewusstsein] dasselbe, was sie biologisch tatsächlich ist und als was sie auch später bewußt gewertet wird: die Versagung eines Kindes.«

 Die Weltgesundheitsorganisation definiert die »natürliche« Menopause als dauerhafte Einstellung der Menstruation durch das Ende der Follikelaktivität. Das heißt, die Monatsblutungen hören auf, weil die Eierstöcke keine Eizellen mehr produzieren. Diese biologische Veränderung erleben die meisten Menschen, die Eierstöcke besitzen, im Alter zwischen 45 und 55 Jahren.

Gamble meinte damit eine Nervosität, die sich psychisch manifestiere, im Gegensatz zur »organischen« Nervosität, die im Körper entstehe. Als sich den Frauen mehr Eigentumsrechte, berufliche Möglichkeiten, intellektuelle Freiheiten und politische Partizipation boten, sei auch die Nervosität verschwunden. Für Gamble war damit bewiesen, dass es sich bei den meisten nervösen Leiden um soziale Symptome handelte. 

Tracy und Boyd stimmten ihm zu: »Nicht umsonst leitet sich das Wort Hysterie von der griechischen Bezeichnung für die Gebärmutter ab«, schrieben sie; »es ist diese Zersplitterung der Seele, diese Zerrüttung des Geistes durch die Nerven, die Scheinsymptome von Gebärmutterleiden verursacht.

Komplizierte Geburten, erklärte er, kämen bei wohlhabenden, gebildeten Frauen häufiger vor, weil die feine Lebensart und das viele Denken die Schmerztoleranz senkten.

Die stärkere Immunantwort der weiblichen Biologie könnte aber auch erklären, warum mehr Frauen an Autoimmunerkrankungen leiden. Faszinierend ist der Gedanke, dass ausgerechnet die erratischen Hormone, wegen derer Frauen oft von klinischen Studien ausgenommen werden, nun plötzlich geschätzt und genutzt werden, um eine Viruserkrankung zu behandeln, die mehr Männer krank macht.

Wenn Frauen in der klinischen Forschung von Studien heute noch ausgenommen werden, weil die weiblichen Hormone mit ihren großen Schwankungen die Ergebnisse angeblich verzerren, so zementiert die medizinische Kultur nur den jahrhundertealten Mythos, Frauen seien biologisch unberechenbar und daher unnütz und unbrauchbar.

Mann oder Frau, jung oder alt - muss man gelesen haben. 

Die kranke Frau Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen

Reviews

Highlights