Emi Yagi

Frau Shibatas geniale Idee

Jennifer Maurer

»Frau Shibatas geniale Idee ist eine kluge, moderne und feministische Antwort auf tief verankerte patriarchalische Strukturen in der japanischen Gesellschaft« schreibt @hoffmannundcampeverlag in dem Kurztext. Das Buch ist schnell durchgelesen, auf 206 Seiten begleiten wir die 34jährige Japanerin Frau Schibata knapp 40 Wochen ihres Lebens. 40 Wochen ihrer (Schein-)Schwangerschaft. Ihres sehr spontanen Prexits aus einem Leben, in dem sie aufgrund ihres Geschlechts wie ganz selbstverständlich zum Mädchen für alles geworden ist. Doch damit ist jetzt Schluss, sie verkündet spontan schwanger zu sein. Statt Kaffeekochen für die Kollegen gibt es jetzt Geburtsvorbereitungskurse und statt Toner wechseln und für Verpflegung der Mitarbeiter zu sorgen, gibt es Maternityrobics - und eine ganz neue Perspektive: »Schwangerschaft. Purer Luxus, pure Einsamkeit.« (S.8) Die männlichen Kollegen sind rücksichtsvoll und hilfsbereit (warum setzt ein bisschen Kenntnis der japanischen Kultur und der Stellung von Schwangeren und Babies voraus), dennoch durchlebt sie alle Formen des Sexismus und irgendwann verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Der Bauch wird dicker, der Appetit größer - und der Atem knapper. Gegen Hälfte des Buches war ich mir dann auch nicht mehr sicher, ob das Baby mehr als nur eine neue Freiheit und Selbstverständnis ist. Man könnte noch einiges dazu schreiben, aber dann würde ich zu viel wegnehmen. Emi Yagi schildert unaufgeregt und gleichzeitig eindringlich das Leben und Arbeitern einer jungen Japanerin in einer Kultur die zwischen moderne und Tradition hängt. 

letterrausch

Eine junge Frau, die einzige in ihrer Abteilung voller lebensuntüchtiger Männer, gibt vor schwanger zu sein, um all den Tätigkeiten zu entfliehen, die Frauen gern mal aufgebürdet werden: Kaffee kochen, Geschirr abwaschen, die abgelaufenen Lebensmittel aus dem Kühlschrank räumen. Und ihre Taktik geht auch auf! Die Männer, die sie eben noch wie eine günstig angeschaffte Putzhilfe behandelt haben, sind plötzlich zuvorkommend und besorgt und schaffen es - nach einigen Anlaufschwierigkeiten - schließlich sogar, sich ihren Instantkaffee selbst aufzugießen. Hurra!

Was zunächst noch humorig und komödiantisch beginnt, stellt sich bald als ein tieftrauriger Roman über eine vereinzelte, vereinsamte und kaum kommunikationsfähige junge Frau heraus, deren “geniale Idee” (nämlich die eingebildete Schwangerschaft) ein Aufbegehren gegen die Unsichtbarkeit ist. Erst jetzt, als vermeintlich schwangere Frau, wird sie in der großen Masse zum Individuum, findet sie zu sich selbst. Logisch eigentlich, dass sie sich im Umkehrschluss nie die Frage stellt, wie sie aus dieser Nummer wieder herauskommen soll. Stattdessen nutzt sie ihre Schwangerschaft als ultimativen Befreiungsschlag: endlich kann sie pünktlich Feierabend machen, endlich hat sie genug Zeit zum Kochen, endlich kann sie abends gemütlich Fernsehen. Sie nimmt zu, sie macht Schwangerschaftsgymnastik, sie geht tatsächlich sogar zu Vorsorgeuntersuchungen. Man merkt: Frau Shibata meint das ernst.

Auch Emi Yagi meint das ernst. Erzählerisch hat der Roman einige Defizite, die “Auflösung” der Schwangerschaft hat mich nicht überzeugt, war mir zu verklärt und weichgezeichnet. Doch als theoretisches Konstrukt bietet Yagis Roman viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren. Ein Roman also, der nachhallt.

Frau Shibatas geniale Idee

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