Die blaue Amsel
Einmal, es war ein Abend, und eine Amsel sang auf dem Dach des Rechenzentrums, brach die 47 plötzlich in Tränen aus. Sofort wandten sich die 46 und die 48 ihr zu, trockneten ihre Tränen ab und sprachen ihr gut zu. Danach stand sie wieder schön und sauber in ihrer Zahlenreihen... Doch damit ist die Welt keineswegs in Ordnung, es kommt ohnehin immer alles ganz anders, und bei Hohler allemal. Sein Gespür für die kleinen Ereignisse, die sich zu Wundern, Abenteuern, Katastrophen auswachsen, ist verblüffend. Das Aufräumen der Wohnung verwandelt sich in eine Schlacht um Leben und Tod, und nach einem schlechten Kinofilm wird ihm plötzlich klar, dass er einen kostbaren Nachmittag herumgebacht, umgebracht hat. Und wie gleichgültig erst die Zeitgenossen sind! Sehen nichts, begreifen wenig: Dienst nach Vorschrift. Da müssen sich schon Jesus und der Teufel zusammentun, um den Papst noch einen Schrecken einzujagen. Franz Hohlers Geschichten sind Erkundungsreisen. Was steckt wo dahinter? Wo schlägt das Gewohnte um ins Tükische, und wann wird aus dem Bekannten ein Abgrund? Sicher ist: Wer sich auf den Erzähler Franz Hohler einlässt, der schaut seine Gewissheiten, Glaubenssätze und Ansichten bald an wie einen löchrigen alten Hut, wenn es in Strömen regnet. Was hilft? Genaues Hinsehen! Und tatsächlich: die Amsel ist blau! Franz Hohler wurde 1943 in Biel, Schweiz, geboren, er lebt heute in Zürich und gilt als einer der bedeutendsten Erzähler seines Landes. Franz Hohler ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, u.a. erhielt er 2002 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor und 2005 den Kunstpreis der Stadt Zürich. Sein Werk erscheint seit über dreissig Jahren im Luchterhand Verlag.
Reviews
Susanna P.@anima