Wissenschaftliche Bibliothekare im Nationalsozialismus Handlungsspielräume, Kontinuitäten, Deutungsmuster
Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts konnten verschiedene Studien den Einfluss des Nationalsozialismus auf Bibliotheken und die personliche Verstrickung prominenter Bibliothekare in das Unrechtssystem belegen. Seither wurden neue Erkenntnisse gewonnen, die auf einer Tagung mit dem Ziel, das Verhalten einzelner leitender Personlichkeiten des wissenschaftlichen Bibliothekswesens zu beleuchten, vorgestellt wurden; die Denk- und Handlungsraume gerade solcher Vertreter der Berufsgruppe, die dem Regime kritisch oder als unpolitische Mitlaufer gegenuberstanden, sind noch langst nicht erschopfend ausgelotet. So lag der Fokus der Tagung auf Bibliothekaren, die ihre Karriere nach 1945 fortsetzen konnten. Dabei standen folgende Fragenkomplexe im Vordergrund: Welche Handlungsspielraume konnten sie ausnutzen? Welche intellektuellen und wissenschaftlichen Voraussetzungen haben ihnen eine Abgrenzung zum nationalsozialistischen Wissenschaftssystem ermoglicht? Haben sie das neue Regime als kategorialen Bruch zu ihrem eigenen Wert- und Ordnungssystem verstanden? Was haben die Bibliothekare anders gemacht als ihre der NS-Ideologie horigen Kollegen? Oder haben sie nur geschickt den Entnazifizierungsprozess uberstanden? Die Ergebnisse der historisch-biographisch ausgerichteten Tagung 2009 in der Anna Amalia Bibliothek Weimar werden nun in dem von Michael Knoche und Wolfgang Schmitz herausgegebenen Sammelband vorgelegt. Uber die eigentliche Thematik hinaus gibt der Band einen sehr interessanten Einblick in die Frage, wie die NS-Ideologie das Handeln und die Entscheidungen in primar nicht politischen, kulturellen Institutionen beeinflusste.