Von der Rückkehr des Erzählens - Der historische Roman bei Daniel Kehlmann (am Beispiel von: "Die Vermessung der Welt") und die Postmoderne
Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft, Note: 1,3, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Veranstaltung: Historische Stoffe in der Gegenwartsliteratur, Sprache: Deutsch, Abstract: Innerhalb der fiktionalen Literatur nimmt der historische Roman eine Sonderstellung ein, da er Realität in Fiktion verwandelt. Eine wahre Darstellung der Geschichte kann es in der Literatur nicht geben, allerdings arbeitet bzw. spielt der historische Roman mit seiner (Un-)Möglichkeit der Realitätsdarstellung. Der postmoderne Geschichtsroman setzt ein entsprechend vorgebildetes Publikum voraus und muss seine Illusionen nicht mehr offen erklären. Dem postmodernen Geschichtsroman eröffnen sich dadurch viele Möglichkeiten: Er kann selbst eine neue Illusion erzeugen, die Kluft zwischen Illusion und Fiktion weiter thematisieren oder sich neuen Themen zuwenden. Für den Schriftsteller ergibt sich zudem eine größere Freiheit des Erzählens. Unter dem Mantel des historischen Schreibens öffnet sich ein neuer Raum für Schreibexperimente, aber genauso für eine Rückkehr zu klassischen Erzählverfahren. Mittels der Aktualisierung des Genres des Historischen Romans kommt es also zu einer (Wieder-)Aufwertung des Erzählens. Der postmoderne Diskurs ist nicht an sein Ende gelangt, sondern wird in der Narration fortgeführt. Das Wissen über das Ende des Erzählens wird in eine neue Erzählung verpackt. „Erzählen, das bedeutet einen Bogen spannen, wo zunächst keiner ist [...]“ . Dieser Bogen, der äußere erzählerische Rahmen, sei notwendig um vom Chaos in der Welt überhaupt schreiben zu können. In einer fragmentierten Welt erlangt hier das Erzählen eine neue identitäts- und sinnstiftende Funktion. Die Vermessung der Welt ist zwar ein Roman über die Unmöglichkeit einer vollständigen wissenschaftlichen Erfassung der Welt, zugleich aber auch über die Möglichkeiten des menschlichen Wissensdurstes und sein unermüdliches Bestreben Geschichten, seien sie nun historisch, wissenschaftlich oder literarisch, aus dem Chaos zu generieren. Der Autor selbst verwahrt sich gegen die Kategorisierung historischer Roman und spricht stattdessen vom „Gegenwartsroman, der in der Vergangenheit spielt“. Die Kriterien des historischen Romans sind formal erfüllt, tatsächlich ist Die Vermessung der Welt aber auf zwei Ebenen lesbar: Als unterhaltsame Doppelbiographie und als anspruchsvolles, möglicherweise postmodernes Werk über die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart, die Unmöglichkeit einer Vermessung der Welt und die Notwendigkeit des Erzählens. Das historische Schreiben wird besonders durch zwei Strategien ergänzt und reflektiert: Ironie und den lateinamerikanischen magischen Realismus.