Abraham und die Anderen Kritische Untersuchung zur Abraham-Chiffre im interreligiösen Dialog
Abraham spielt eine wichtige Rolle im jüdisch-christlich-muslimischen Dialog. Als "gemeinsamer Vater" von drei Religionen soll er die Gegensätze überbrücken und für das Verbindende stehen. Doch kann "Abraham" wirklich die Basis für ein friedliches Miteinander bieten? Ein Blick in die jeweiligen Offenbarungstexte fällt eher ernüchternd aus, denn mit der Chiffre "Abraham" betonen sie keineswegs nur Gemeinsamkeit, sondern definieren auch die eigene Identität durch Abgrenzung von Anderen. Dies zeigen exemplarisch Texte aus der Hebräischen Bibel, dem frühjüdischen Jubiläenbuch, dem Neuen Testament und dem Koran. Auch heilige Orte verbinden und trennen: Mekka und Hebron als Verehrungsorte von Abraham, Sara und Hagar sind zugleich gemeinsames Erbe und Brennpunkte des Konflikts. Gerade in schwierigen Zeiten, wenn überall Gegensätze verschärft werden, ist ein gelingender interreligiöser Dialog lebensnotwendig. Er braucht aber eine tragfähigere Basis als die schillernde Abrahams-Figur der verschiedenen Traditionen. Einstweilen kann "Abraham" allenfalls ein Codewort sein für den Wunsch nach Geschwisterlichkeit und für die Absicht, Gemeinsamkeit zu entwickeln.