Jovana Reisinger

»Was macht eigentlich das Unterschichtskind auf dem Roten Teppich?«, fragt eine Besucherin auf dem Münchner Filmfest in meine Richtung. Ja, was macht sie da?

Sie ist auf einer Mission. Die Tussi suggeriert durch ihre Erscheinung ein grenzüberschreitendes Begehren. Es geht um Kitsch, Glamour, Trash, es geht um Camp. Es geht um Körper, Identitäten. Es geht um Strass, um Klasse und um künstliche Fingernägel.

PLEASURE ist eine atemberaubend eloquente Tour de Force durch die Luxus-Triade Schlaf (meterlange Hotelbett-Laken!), Nahrung (Schlemmermaus!) und Kleidung (Dior, aber fake!). Anhand von aufschlussreichen Anekdoten aus der Kunstwelt stellt Jovana Reisinger die verdeckten Normen eines vermeintlich liberalen Milieus, bricht eine Lanze für den Kitsch, für die Völlerei und das Rumliegen. Das Bekenntnis zu PLEASURE ist nicht nur ein politisches Signal, sondern auch ein Weg zu individueller Freiheit.

Pleasure

Lea Hi

Doch geht es bei Pleasure nicht um eine große Bewegung, sondern um eine große Bereitschaft zur Hingabe. Für manche mag das bedeuten, in elitäre Räume einzudringen, die ihnen qua Herkunftsgeschichte nicht selbstverständlich erscheinen. Für andere, sich den Themen zu widmen, für die sie verachtet werden. Für die einen ist Pleasure der ungestörte Schlaf, für die anderen die Limonade auf der Dachterrasse, für die nächsten die Markenklamotte. Pleasure ist immer eine persönliche Anspruchsgeste und zugleich eine politische Intervention. Das fotzige Kleid, die Discounter-Delikatesse, die Müdigkeit - das bin nie nur ich. Da sind immer die anderen, das ist der gesellschaftliche Kontext, die Fallhöhe, die Provokation. Pleasure ist ein Manifest, weil das gute Leben allen zusteht.

In jedem Rückgriff, und sei er noch so ironisch, auf den Heimatbegriff schwingt eben auch mit, was Heimat ganz unironisch erzeugt: Ausgrenzung. Heimat ist die Illusion der heilen Welt, der abgeschlossenen Welt, der engen und ordentlichen Verhältnisse.

Trotzdem setzt Glamour nach Reisingers Definition ein Mindestmaß an finanziellen Ressourcen, Zeit,  Energie, Zugangsmöglichkeiten... voraus, ist also ein Privileg, das nicht allen FLINTA* als feministischen Akt zur Verfügung steht. Das findet hier kaum Berücksichtigung.

Glamour ist eben nicht die nächste Imitationsschleife der Reichen und ihres Lebensstils, sondern muss auch ohne Geld möglich sein. Die eigene Künstlichkeit als Kritik verstehen statt als mangelnde Tiefe. Als (gewaltvolle) Aneignung und Werkzeug, um Machtverhältnisse infrage zu stellen. Das Kunstprodukt. Glamour, der von unten kommt, ist politisch, ist subversiv, ist herausfordernd. Leopardenprint, Föhnfrisuren, hohe Absätze. Die Fähigkeit, auf Oberflächlichkeit ohne Verachtung zu reagieren.

(Aus einer Erzählung von Elke von Sievers)

Der Glamour fand immer dann statt, wenn der Strass und das Glitzern den Rahmen überspannten. Wenn es keinen Grund für den Exzess gab, außer das Leben selbst.

Jovana Reisinger schafft es eine Lust auf Konsum, auf Glamour, auf Kitsch und „sich-etwas-gönnen“ zu erwecken und dabei als (feministischen) Akt der Selbstermächtigung erscheinen zu lassen, was vom Ansatz her erstmal toll klingt. Ihre Ausführungen zu Selbstermächtigung und zum Bruch mit gesellschaftlichen (Klassen-)Strukturen finde ich an sich sehr gut. Intersektional feministisch betrachtet fehlt mir hier jedoch einiges, denn hier werden nicht nur viele marginalisierte Menschen ausgeschlossen, die an dieser Form des ausgelebten Glamours nicht teilhaben können. Dieser zum Teil unhinterfragte Konsum funktioniert nur, solange Menschen - zumeist eben Frauen* - in anderen Ländern der Welt unter prekären Bedingungen für uns produzieren. Auch vergisst ihre Definition von Pleasure, als freie Entscheidung zu genießen, die jedem Menschen möglich sei, dass sie aus einer sehr privilegierten Situation heraus schlicht keine Entscheidung ist, die jede*r treffen kann. Im Klappentext steht der Satz "Das Bekenntnis zu Pleasure ist nicht nur ein politisches Signal, sondern auch ein Weg zu individueller Freiheit. Für Jede:n von uns.", so einfach ist das jedoch nicht. Die mentalen, emotionalen, materiellen und zeitlichen Ressourcen hierfür zur Verfügung zu haben, ist ein enormes Privileg. Sie versucht an einzelnen Stellen eine intersektionale Sicht aufzuzeigen, das kommt jedoch in meinen Augen zu kurz. Im ersten Teil erzählt Jovana Reisinger von Slutshaming, das sie bei einem Film Festival in München aber auch immer wiederkehrend in ihrem Leben erfahren hat und bringt dieses mit Klassismus in Verbindung. Sie hat aus meiner Sicht aber die Chance verpasst an dieser Stelle Sexarbeit zu destigmatisieren. Immer wieder komme ich an den Punkt, dass mir nicht ganz klar ist, worauf sie eigentlich hinaus möchte, vor allem im dritten Teil kommt hier zu vieles beim Thema Schlaf zusammen. Sie scheint Themen wie Kapitalismuskritik, Klassismuskritik, Kritik am Patriarchat und intersektionale Themen unterbringen zu wollen, das kommt mir alles jedoch zu kurz und am Ende geht es immer nur um ihre eigenen Bedürfnisse und immer wieder viel Konsum.

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