Der neue Geist des Kapitalismus

Der neue Geist des Kapitalismus

Der Geist des Kapitalismus verdankt seinen Triumph der Fähigkeit, die gegen ihn gerichtete Kritik aufzugreifen und zu verarbeiten. So hat das Maß der persönlichen Autonomie am Arbeitsplatz in den kapitalistischen Produktionsformen der Gegenwart zwar erheblich zugenommen, eine Forderung, die die künstlerische Avantgarde der 68er ins Zentrum ihrer Kritik an der Allianz zwischen Bürokratie und Kapital gestellt hatte. Dies geschah allerdings um den Preis der Berufs sicher heit, der Planbarkeit von Karrieren, verlässlicher Strukturen. Soziale Desintegrationsprozesse auf der kollektiven und erhöhter psychischer Druck auf der Ebene des einzelnen Individuums sind Folgen dieser Entwicklung. Einstweilen bleibt die Kritik an diesem neuen Kapitalismus machtlos, weil sie die Gegenwart an vergangenen Idealen misst und die sozialen Konflikte der Gegenwart mit Begriffen zu beschreiben versucht, die in der ökonomischen Realität des 21. Jahrhunderts keinen Sinn mehr ergeben. Neue Interpretationsmuster aber werden den Legitimations druck auf den Kapitalismus erhöhen – insbesondere dort, wo wachsende Gerechtigkeitsdefizite augenscheinlich werden. Der Geist des Kapitalismus wird seine Antwort nicht schuldig bleiben. Luc Boltanski ist Forschungsdirektor an der École des hautes études en sciences sociales, Paris. Ève Chiapello ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der École des hautes études commerciales, Paris.
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