Die Textualität der Kultur Gegenstände, Methoden, Probleme der kultur- und literaturwissenschaftlichen Forschung
Im Zuge des sogenannten "cultural turn", der die traditionellen Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaften neu bestimmte, sah sich auch die Literaturwissenschaft mit ganz neuen Ansprüchen konfrontiert: Statt sich wie bisher mit literarischen Werken oder Texten des täglichen Gebrauchs zu befassen, sollte sie plötzlich mittels interdisziplinärer Ansätze kulturelle Phänomene aller Art wie Rituale, politische Machtstrukturen oder gesellschaftliche Konstellationen analysieren und erklären. Eine Möglichkeit, das Verhältnis von Text und kulturellem Kontext zu denken, bildet die Vorstellung der Textualität der Kultur, die von Stephen Greenblatt, Louis Montrose und anderen Vertretern des New Historicism unter Bezugnahme auf den Kulturbegriff des Ethnologen Clifford Geertz entwickelt wurde. Geertz versteht Kultur als ein „Netzwerk von bedeutungstragenden Verknüpfungen“ (Geertz 1973), dem ein semiotischer, also ein textueller Charakter eigen ist. Dieses analytische Modell eröffnet die Möglichkeit eines bruchlosen Übergangs zwischen dem Text und dem ihn umgebenden Kontext – eines Übergangs, der in beide Richtungen funktioniert und zudem als "dynamisch" vorgestellt wird: Nicht nur wird der Text als Produkt kultureller Einflüsse angesehen und in einen bereits existierenden Kontext eingeordnet, auch dieser Kontext selbst ist als Zeichengewebe charakterisiert durch seine latenten Bedeutungspotentialen, die erst in der entsprechenden Lektüre aktualisiert und damit realisiert werden. Diese Auffassung von der Textualität der Kultur und der Kulturalität von Texten bildet die gemeinsame methodische Annahme der im vorliegenden Tagungsband versammelten Beiträge.